Fiber Fact Friday Nr. 26: Leinen los! – Nee, Kapitän, erst noch abketten

Ich geb zu: Das heutige Woll-Wortspiel für die Überschrift ist schon ziemlich flach. Im Angebot hätte ich alternativ noch Ausführungen zum „Gemeinen Lein“. Ich meine, wenn DAS nicht total nach dem fiesen Kerl vom Schulhof klingt, dann weiß ich auch nicht. Wie dem auch sei – wir sind schon voll drin im Thema: Heute geht’s um Leinen.

Kulturgut Lein – Eine Pflanze überdauert die Jahrtausende

Gemeiner Lein – schön und vielseitig

Der Gemeine Lein heißt in der Wissenschaft Linum usitatissimum und ist natürlich kein hinterhältiger Mitschüler, sondern ein ganz besonderes Gewächs mit einer langen Tradition als Kulturpflanze.

Kulturpflanze – das sagt man schnell mal so dahin, aber eigentlich verbirgt sich doch ein kleines Wunder dahinter: Optisch irgendwas zwischen Gras und Gestrüpp, mit hübschen, blassblauen Blüten, die weite Wiesen mit bunten Tupfern versehen. Nicht unscheinbar, schon klar, aber auch nicht so spektakulär, dass man denken könnte, dass daraus über Jahrtausende Menschen so etwas Komplexes wie Stoffe bzw. Kleidung herstellen und sich damit vor Sonne, Wind und Wetter schützen konnten. Ganz nebenbei gibt es auch noch die Variante des Öl-Leins, aus dem – der Name sagt es schon – Leinöl gewonnen werden kann. Wir beschäftigen uns heute aber mit der Geschwisterpflanze, dem Faserlein, auch Flachs genannt.

Von der blauen Blüte zum fertigen Gewebe

Flachswiese in Belgien

Obwohl Lein so vielseitig ist, ist er alles andere als eine Diva. Seine Ansprüche an Bodenbeschaffenheit und Wetterbedingungen sind recht bescheiden und daher ist der Anbau umweltschonend und nachhaltig. Er mag eher Böden, die nicht von Staunässe betroffen sind; in Mooren oder auf schlammigen Untergründen kommt er daher nicht vor. Hitze- und extreme Trockenperioden verringern die Ernte auch – aber abgesehen davon ist Lein wirklich recht genügsam und muss auch kaum mit chemischen Pestiziden behandelt werden.

Er wird schon zu Beginn des Frühlings ausgesät, denn ein paar letzte Frosttage übersteht er in der Regel unbeschadet. Ein bisschen komplizierter wird es dann allerdings bei der Ernte: Bei Öllein kann einfach der Mähdrescher zum Einsatz kommen. Flachs hingegen muss mit einer sogenannten Raufmaschine geerntet werden. Dabei werden die Pflanze mitsamt des Wurzelansatzes aus der Erde gezogen.

Alle Stationen, die der Flachslein durchläuft.

Dann folgen weitere Verarbeitungsschritte, die sich im ersten Moment eher nach Kaffee als nach einer Faser anhören: Rösten, Brechen, Schwingen und Hecheln. Das als Tauröste bezeichnete Verfahren übernimmt die Natur quasi selbst: Die abgeernteten Stängel werden auf dem Boden fein säuberlich nebeneinander ausgelegt. Die Feuchtigkeit, die der Tau auf den Feldern abgibt, bewirkt, dass Bakterien und Pilze den „Klebstoff“, das Pektin, im Flachs abbauen. Dadurch werden die Fasern vom restlichen Pflanzengewebe gelöst.

Dieser Prozess muss zum richtigen Zeitpunkt unterbrochen werden, damit die Fasern selbst unbeschadet bleiben. Eine andere Methode ist die Warmwasserröstung. Dabei werden die Pflanzen tagelang in bis zu 40 Grad warmen Wasser erwärmt. Erfreulicherweise werden 75% der weltweiten Produktion mit der Tauröste gewonnen. Diese ist nämlich im Gegensatz zur zweiten Variante, die Unmengen an Wasser und Energie verschlingt, äußert umweltfreundlich. Chemische Verfahren gibt es keine – ein weiterer Pluspunkt in Sachen Umwelt –, denn dabei würden die Fasern angegriffen werden und das Produkt wäre unbrauchbar.
Nach dem Rösten werden die abgeernteten Pflanzen getrocknet und in der Schwingerei gebrochen, so dass die Lang- und Kurzfasern vom Stroh getrennt (das sogenannte Hecheln) und zu Zöpfen für die weitere Verarbeitung gedreht werden können.

Ab ins Knäuel – Leinen als Strickgarn

So wurde Leinen früher gesponnen.

Und damit sind wir auch schon beim Punkt angekommen, der uns hier am meisten interessiert: Wie sieht es aus mit Leinen als Strickgarn. Die Fasern werden relativ klassisch gesponnen: Während die Kurzfasern erst kardiert und später trocken versponnen werden, werden die hochwertigeren Langfasern erst zu einem Band verarbeitet, das immer wieder gedehnt wird, bevor dann nass ein Faden daraus gesponnen wird. Sowohl dank der Struktur als auch aufgrund der Verarbeitung bringt Leinen einige ganz wunderbare Eigenschaften mit: Die Faser ist sehr glatt und lässt sich daher auch zu feinen Geweben verarbeiten. Da sie wenig Luft einschließt (dafür bräuchte sie ja eine rauere Oberfläche), sind Leinenstoffe und Garne nahezu flusenfrei und sogar schmutzabweisend und von Natur aus antibakteriell. Da Leinen Feuchtigkeit sehr effizient an die Umgebung abgibt, ist es das ideale Garn für Sommerbekleidung.

Bügeln ist ja eh bieder… oder?

Besonders reißfest ist die Leinen-Faser obendrein – allerdings bringt das auch den wohl bekanntesten Nachteil mit sich: Die Reißfestigkeit verdankt sie nämlich der kaum vorhandenen Elastizität und die wiederum sorgt für das typische Knittern von Leinenstoffen. So schön luftig ein Leinenhemd oder Leinenkleid im Sommer ist – wer knitterfaltenfrei bleiben will, darf sich eigentlich nicht damit hinsetzen oder bewegen oder auch nur schief gucken…

Leinenhemd – da hilft auch das Bügeleisen nicht immer.

Aber zum einen sind ein paar Knitterfalten im Leinen ja irgendwie auch charakteristisch und kein Drama, und zum anderen: gestricktes Leinen knittert deutlich weniger! Beim Stricken selbst fühlt sich das Garn manchmal noch etwas rau oder hart an, es wird aber beim Waschen und vor allem beim Tragen richtig schön weich und anschmiegsam. Also, da heißt es doch am besten sofort ran an die Nadeln, oder? Eines meiner liebsten Strickshirts ist aus Leinen und es ist einer meiner Lieblingsbegleiter bei längeren Gassirunden im Wald (– neben meinem Dackel natürlich).

Leinen jetzt auch so richtig screamingcolourly: ColourLine

Wie praktisch, dass Steffi mit der ColourLine das perfekte Sommergarn in wunderbaren Farben im Sortiment hat. Die Leinen-Schurwoll-Mischung ist etwas dünner als die klassische Sockenwollstärke, sprich: light fingering. Rooster Yarns achtet bei seinen Garnbasen auf Umweltverträglichkeit und Bioqualität, so dass ihr guten Gewissens drauflosstricken könnt. Seit Anfang Juli läuft auch ein Knitalong zum Thema Leinen-Sommerstrick. Die ersten Ergebnisse findet ihr unter dem Hashtag #clsskal auf Instagram und mitmachen könnt ihr natürlich auch jederzeit noch.

Startet gut in die Ferienzeit, die auch hier bei uns in Bayern bald beginnt. Wir lesen uns im August wieder – denn der Fiber Fact Friday braucht keine Sommerpause, sondern nur einen Eisbecher, den ich mir jetzt mal hole…

Leinenluftige Grüße,

Eure Judith

Quellen:

Bildnachweise:

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