Fiber Fact Friday Nr. 23: Tschüss Superwash – Hallo Enzymverfahren!

Der Chemiesaal war anders als die übrigen Räume in der Schule. Seltsame Waschbecken, etwas das Augendusche hieß (gruselig allein die Vorstellung) und bunte Hähne aus denen – so dachten wir – gefährliche Substanzen ausströmen könnten. Tatsächlich fand hier aber dann doch meistens stinknormaler Unterricht statt. Nicht immer besonders aufregend – ganz anders als unser Thema heute: Wir begeben uns gedanklich ins Chemielabor und reden über das „Enzymverfahren“.

Nein, wir sind hier jetzt nicht plötzlich ein Gesundheits- oder Ernährungsblog. Es geht schon immer noch um Wolle. Die meisten von euch haben den Ausdruck superwash oder Superwash-Ausrüstung bestimmt schon mal auf einer ihrer Banderolen gelesen. Dahinter verbirgt sich das sogenannte Chlor-Hercosett-Verfahren. Ziel ist es, Wolle filzfrei und maschinenwaschbar zu bekommen. An sich keine schlechte Idee – Maschinenwäsche ist ja doch um einiges bequemer als Handwäsche in der Wanne. Doch leider hat das Verfahren etliche Nachteile.

Das klassische Superwash-Verfahren: Mehrere Stufen bis zum vermeintlichen Super-Garn

Filz als Bastelmaterial

Dass tierische Wolle überhaupt verfilzen kann, liegt an ihrer Struktur: Die Oberfläche ist nicht glatt, sondern schuppig – genau wie bei menschlichen Haaren und Schurwolle ist ja nichts anderes als das Haarkleid der Schafe. Diese Schuppen können sich ineinander verhaken und es entsteht Filz. Das kann manchmal ja durchaus gewollt sein: Filzkörbchen, kleine Osterhasen oder Filzpantoffeln sind schließlich kreative Geschenkideen und Anleitungen finden sich zu Hauf auf Ravelry&Co. Den Wollpullover, an dem man so lange gearbeitet hat, will man aber dann doch lieber ungefilzt tragen. Bei der Superwash-Ausrüstung von Garnen werden deshalb die Schuppen mit Hilfe von Chlor von der Restfaser abgelöst. Dann ist sie zwar glatt, aber eben auch voller Chlor. Um da Abhilfe zu schaffen, geht es weiter mit einer alkalischen Behandlung mit Sulfiten. Um die sehr beanspruchte Faser für ihren weiteren Lebens- und Verarbeitungsweg zu schützen, wird sie zuletzt mit einer Schicht aus Kunstharz ummantelt.

Alles Wissenswerte über die Unterschiede von Superwash und Nonsuperwash findet ihr in FiberFactFriday Nr. 4.

Kunstharz&Co – Ist das noch Wolle?

Kleidung, die aus solchen Garnen hergestellt wird, darf also in die Waschmaschine. Die Gefahr des Einlaufens und auch die Neigung zu Pilling sind deutlich reduziert. Es gibt sogar Textilien aus Superwash-Wolle, die eine Fahrt im Trockner aushalten. Gleichzeitig kann ich aus eigener, leidvoller Erfahrung sagen: Waschmaschine heißt hier Wollwaschgang und minimales Schleudern. Meine letzten Superwash-Socken sind jetzt Filzuntersetzer…

Damit euch das nicht passiert, schau unbedingt in Fiber Fact Friday Nr. 3 rein. Dort erklären wir euch, wie man Wollprodukte richtig wäscht.

Na, wer erinnert sich noch an den Namen? Erlenmeyer Kolben!

Aber zurück zum Thema. Auch wenn man im Chemieunterricht nicht aufgepasst hat. So ganz unbedenklich klingt dieses Verfahren allein schon vom Zuhören her nicht. Das zentrale Problem: Die großen Mengen an Abwasser, die bei dieser Technik entstehen, sind voll mit Chlor, organisch gebundenen Halogenen (sogenannte AOX) und weiteren Zusatzstoffen, die unter großem Ressourcen-Aufwand herausgefiltert werden müssen und nicht in die Natur gelangen sollten.

Superwash: Umweltverträglichkeit adé?

Auch die behandelte Wolle selbst ist belastet: Sie büßt ihre biologische Abbaubarkeit zu einem großen Teil ein. Außerdem ist die Haptik einer superwash-behandelten Wolle deutlich synthetisch und hat nicht mehr den typischen Wollcharakter.

Wenn ihr mehr über die tollen Eigenschaften von Schurwolle erfahren möchtet, dann schaut gerne im Fiber Fact Friday Nr. 15 vorbei.

An sich sollte gerade Stricken ja etwas Nachhaltiges sein. Wenn es aber um Superwash geht, stimmt die Bilanz nicht mehr so wirklich. Hier ein paar Zahlen, die das verdeutlichen.

Alleine bei der Produktion von 1.000 Tonnen Wolle fallen als non-product-output 150 Tonnen 13-prozentige Chlor- bleichlauge, 180 Tonnen Harz sowie weitere 140 Tonnen Zusatz- stoffe an. Für die Beseitigung von rund 25.000 Kubikmeter Abwasser und 20 Tonnen Schlamm müssen die Produzenten in Deutschland über 150.000 DM pro 1.000 Tonnen veredelter Wolle aufwenden.

Bundesministerium für Bildung und Forschung, 08/2000

Alternative Enzymverfahren – was kann diese Technik besser?

Hier musste etwas passieren, dachte man erfreulicherweise nicht nur auf Seiten des Umweltschutzes, sondern auch in Politik und Wissenschaft und so wurde an alternativen Verfahren geforscht. Inzwischen ist das Enzymverfahren – auch unter dem Namen LANAZYM zu finden – in der Industrie im Einsatz. Dabei passiert zunächst etwas ähnliches wie beim Chlor-Hercosett-Verfahren: Die schuppige Oberflächenstruktur der Wolle wird verändert, so dass sie sich nicht mehr verhaken und somit verfilzen kann. Hierfür werden allerdings keine umweltschädlichen Chemikalien verwendet, sondern natürlich vorkommende Enzyme. Diese spalten dann die Proteine, die die Wollschuppen bilden, indem sie sogenannte Peptidverbindungen zersetzen.
Das Verfahren ist technisch anspruchsvoll, da Temperatur, Konzentration und Einwirkzeiten maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis haben. Sie müssen auf den jeweiligen Grundrohstoff, also den jeweiligen Wolltyp, abgestimmt sein, um zum Erfolg zu führen.

Ressourcenschonend und hautfreundlich

Das entstehende Abwasser ist im Gegensatz zum Chlor-Verfahren nicht belastet und es werden insgesamt auch geringere Mengen an Wasser benötigt. Da das Verfahren gründlicher ist als die Superwash-Ausrüstung ist eine Behandlung mit Harzen nach der Glättung durch die Enzyme nicht mehr nötig. Enzymbehandelte Wolle ist also ein echter Hautschmeichler – auch aus gesundheitlicher Sicht: Da der Einsatz von Chlor&Co entfällt, sind auch keine Spuren von AOX oder anderen belastenden Stoffen in dieser Wolle enthalten.

Das klingt alles ziemlich prima, finde ich. Stellt sich unweigerlich die Frage: Warum ist dieses Verfahren nicht schon längst Standard und warum finden wir sowohl in den Regalen von Wolldiscountern als auch bei hochwertigen Shops immer noch so viele Superwash-Garne? (Von der Textilindustrie im Allgemeinen gar nicht zu reden, aber das ist eine größere Baustelle….)

Fröhliches Proteine-Spalten allerseits!?

Superwash ist immer noch üblich in den meisten Wollgeschäften.

Das würde ich euch an dieser Stelle gerne beantworten, aber: Ich habe keine verlässlichen Aussagen dazu finden können. Wie schon erwähnt, erfordert das Verfahren einiges an technischem Know-How, aber das ist auch hierzulande eigentlich vorhanden. Der Preis könnte eine Rolle spielen – der Einsatz von tonnenweise Chemie ist wohl günstiger als das biologische Antifilz-verfahren mit Enzymen. So heißt es in Mode und Chemie: Fasern, Farben, Stoffe von Gabriele Maute-Daul: „Im Vergleich zu Superwash 2000 ist das Enzymverfahren zwar teurer, doch bleiben die Eigenschaften der Wolle unverändert, während die Filmbildung [Anmerkung: gemeint ist der Harzüberzug] immer einen negativen Einfluss auf den Griff und die Feuchtigskeitsaufnahme hat.“

Konkrete und vor allem aktuelle Zahlen hat meine Recherche nicht zu Tage gefördert. Angesichts der enormen Zusatzkosten für die Umwelt wäre das Preisargument aber ohnehin eine Milchmädchen-Rechnung. Bleibt also wohl mal wieder nur die Markmacht der Verbraucher*innen: Wenn euch eine Antifilz-Behandlung wichtig ist, dann entscheidet euch nach Möglichkeit für Garne mit Enzymverfahren. Oder bleibt vielleicht einfach ganz beim Naturprodukt mit seinen vielen positiven Eigenschaften.

Ich hoffe, die kleine Reise zurück in den Chemieunterricht hat bei euch jetzt mehr positive als negative Erinnerung ausgelöst (ich mochte das Fach ja im Gegensatz zu Physik oder Sport sehr gern…) und ihr startet gut gelaunt in ein langes, österliches Strickwochenende.

Wollige Grüße, Judith

Quellen:

Bilder:

5 Gedanken zu „Fiber Fact Friday Nr. 23: Tschüss Superwash – Hallo Enzymverfahren!

  1. Das klingt sooo super!
    Ich würde solch ein Garn – von Steffi gefärbt – sofort ausprobieren , auch wenn es etwas teurer ist.
    Wann gibt es das?

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    1. Huhu Edda,

      das gibt es sogar bereits. Die ColourBig und die ColourLine sind maschinenwaschbare Garne, die mit dem Enzymverfahren hergestellt wurden. Da kannst du dich gerne durchprobieren. 😉

      Wollige Grüße,

      Steffi

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  2. Hallo Judith,

    vielen Dank für deinen informativen Post. Ich war mir nicht bewusst, wieviel Chemie nötig ist ist und in welch großen Ausmaß das Verfahren umweltschädlich ist, um Wolle maschinenwaschbar zu machen 😳 dass die Wolle ummantelt ist, hatte ich erfolgreich verdrängt 🙈

    Vor ein paar Tagen habe ich in einem Werksverkauf das Ausrüstungsverfahren EXP entdeckt (https://www.schoeller-wool.com/de/exp) und habe dank deiner Hilfe verstanden, dass das tatsächlich besser ist.

    Viele Grüße
    Mika

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    1. Huhu Mika,

      ach spannend, dass du das live miterleben konntest. Da bin ich glatt ein wenig neidisch. 😉

      Ich befürchte in vielen Dingen, die wir tagtäglich benutzen, steckt viel mehr Chemie als uns bewusst ist. Gerade deswegen ist stetige Aufklärung so wichtig. Auch wir lernen täglich über diese Dinge dazu. 🙂

      Wollige Grüße,

      Steffi

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